Fachtagung und Mitgliederversammlung des BVBM am 01. Und 02. Februar 2024 in Berlin

31. März 2024

Hier findet man die Mitschnitte dieser Veranstaltungen

https://www.youtube.com/watch?v=_xbBbeL1s0Y
https://www.youtube.com/watch?v=b_HXkuO2i0k

  

Plädoyers für Bürgermedien

Am 1. Februar 2024 war der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, Gastredner bei der Veranstaltung „Bürgerjournalismus belebt das Mediensystem“. Der Bundesverband Bürgermedien hatte zu der Tagung nach Berlin eingeladen. 40 Jahre vorher war der erste deutsche Offene Kanal in Ludwigshafen auf Sendung gegangen.

Die Quintessenz aus der Rede können Sie hier nachlesen.

 

Mein drittes Plädoyer für Bürgermedien

 

Vor zehn Jahren hatte ich anlässlich der Veranstaltung „30 Jahre Bürgerrundfunk in Deutschland – Eine Inventur“ die Möglichkeit, ein Plädoyer für die Offenen Kanäle zu halten. Ich habe mich über die Gelegenheit gefreut, heute hier erneut sprechen zu dürfen, um mit Ihnen noch einmal auf die Rolle des Bürgerjournalismus zu schauen. Damals habe ich Ihnen acht Thesen präsentiert, die die Bedeutung der Bürgermedien für unsere Gesellschaft unterstrichen haben. Dieses Mal werde ich mich auf drei Thesen beschränken, die auf manch drängende Fragen eingehen:

 

Können Bürgermedien ihr Potenzial in der digitalen Medienlandschaft ausreichend aus-schöpfen? Wie hat das digitale Zeitalter die Nutzung und ihr Profil verändert? Nimmt die Zivilgesellschaft den Bürgerjournalismus heute als ihr Sprachrohr und Plattform für ihre Beteiligung in der Medienwelt wahr?

 

Meine erste These setzt an der Stärkung des Demokratiebewußtseins der Bürgerinnen und Bürger an: Aus Sicht der politischen Bildung hat Medienbildung das Ziel, Freiheit und Gleichheit als Grundwerte unserer politischen Kultur zu vermitteln und Menschen als Teilhabe sowie eine qualifizierte politische Meinungsbildung zu ermöglichen. Dafür müssen sie nicht nur mit der Geschwindigkeit der digitalen Welt mithalten können, sondern auch analoge wie digitale Kanäle finden, um sich auszutauschen und auszudrücken.

 

Wir brauchen Bürgermedien, die physische wie digitale Räume schaffen, um den demokratischen Diskurs zu fördern.

 

Die Demokratie braucht Räume für den Diskurs. Offene Kanäle können „ideale Orte informeller“ Bildung“ sein, wie schon Josef Röll, Soziologe und emeritierter Professor für Neue Medien und Medienpädagogik, festgestellt hat. Diese Zuschreibung ist nach wie vor gültig. Denn sie stellen als institutioneller Rahmen Räume, konkrete Orte und eine Öffentlichkeit dar, die es braucht, um Reflexion, Diskussion und Aktion in Gang zu setzen. Damit haben sie laut Röll ein Alleinstellungsmerkmal.

 

Damit sich Menschen als wertgeschätzte, mündige und aktive Mitglieder unserer pluralen Gesellschaft begreifen und die Möglichkeit bekommen, diese mitzugestalten, ist der persönliche Austausch vor Ort nicht zu unterschätzen. Er ist insbesondere dort dringend notwendig, wo Strukturwandel und andere sozioökonomische Entwicklungen zu einem Vakuum institutioneller Fürsorgepflichten führen und öffentliche Räume für Austausch und Miteinander schwinden. Die Vernetzung der Bürgermedien mit einer Vielzahl verschiedener gesellschaftlicher Einrichtungen wie Universitäten und Schulen ist aus Sicht der politischen Bildung dabei von großem zusätzlichem Wert. Denn dabei docken Bürgermedien an die Lebensrealitäten der Menschen an und wecken dort Interessen am gelebten Medienhandeln, wo dieses vorher vielleicht im Verborgenen schlummerte oder gar nicht erst vorhanden war. Wir nennen diesen lebensweltlichen Ansatz in unserer Profession übrigens Aufsuchende Politische Bildung.

 

In unserer digitalisierten Mediengesellschaft ist politische Teilhabe wesentlich darauf angewiesen, dass Bürgerinnen und Bürger ausreichend medienkompetent sind, um am politischen Diskurs teilhaben zu können. Bürgermedien bieten Möglichkeiten, genau dies zu erfahren, zu erlernen und zu erproben. Wir leben in einer Zeit, in der jeder mit Zugang zum Internet und den entsprechenden Kenntnissen Inhalte veröffentlichen und potenziell eine große Anzahl von Menschen erreichen kann. Die vielen Parallelen zwischen den Anliegen und aktuellen Bedarfen der politischen Bildung und der Bürgermedien führt zu meiner zweiten These:

 

Wir brauchen Bürgermedien, die die Ausbildung der Medienkompetenz an den Bedürfnissen und den publizistischen Realitäten der Gegenwart orientieren.

 

Neben der Fähigkeit, technische Geräte zu nutzen, ist es entscheidend, die Glaubwürdigkeit von Quellen einschätzen zu können und die Funktionsweise und Regeln von Journalismus, sozialen Netzwerken, neuen Vermittlern und deren Mechanismen zu verstehen. Dazu gehört auch die Fähigkeit, journalistische Leistungen von kommerzieller Kommunikation, Propaganda und Fälschungen unterscheiden zu können.

Die Vermittlung von Medienkompetenz in Offenen Kanälen kann jedoch mit Blick auf die Rezeptionsgewohnheiten vor allem junger Menschen anders aussehen, als wir es möglicherweise gewohnt sind. Neben den traditionellen Arbeitsweisen sollten die vielfältigen digitalen Medienpraktiken wie Kurzvideos auf TikTok oder YouTube-Streams berücksichtigt werden. Es ist wichtig, diese Techniken kritisch zu reflektieren. Nicht jeder Trend passt zu jedem Medium oder jedem Thema. Auch das aktuelle Trend-Thema Künstliche Intelligenz könnte im lokalen Kontex aufgegriffen werden, wie.es bei manchem Offenen Kanal bereits in der Praxis angekommen ist.

Es ist wichtig, Sach- und Reflexionskompetenz zu haben, um Produktionsprozesse, Routinen und die professionellen Werte des Journalismus zu verstehen. Auch die Nutzungskompetenz ist von großer Bedeutung, um geeignete Angebote in der öffentlichen Kommunikation zu finden.

Man sollte wissen, wie man aktiv in der Medienproduktion tätig werden kann und wie Beiträge zur öffentlichen Kommunikation inhaltlich erstellt werden. Darüber hinaus sollten Bürgerinnen und Bürger die Relevanz der Medienpolitik erkennen und verstehen, wie sie Einfluss auf den politischen Prozess nehmen können.

All das sind Qualifikationen, die eine Schnittmenge medienpädagogischer und politisch-bildnerischer Ziele formen. In diesem Sinne verstehe ich die Bürgermedien als potente Alliierte der politischen Bildung, die höchst interessante komplementäre Zugangswege bereithalten.

Bürgermedien könnten Formate entwickeln, die diese Kompetenzen fördern und journalistische medienkritische und medienedukative Inhalte bieten. Das Prinzip der Co-Creation war ein prägendes Strukturelement des Bürgerjournalismus, lange bevor es etwa in der politischen Bil-dungspraxis als vielversprechender Zugang erkannt worden ist, um Motivation und Durchhaltevermögen der Zielgruppen zu stärken. Um Menschen noch effektiver anzusprechen, müssen Bürgermedien meiner Meinung nach, noch stärker als es bisher geschieht, mit attraktiven und

interessensorientierten Angeboten herausstechen.

Das führt mich zu meiner dritten These:

 

Wir brauchen Bürgermedien, die ihre Sichtbarkeit in der Gesellschaft erhöhen – und das insbesondere im ländlichen Raum.

 

Die Rückbesinnung auf das Lokale hat in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen. In einer Zeit der Unsicherheit und Veränderung erfüllt der Lokaljournalismus eine entscheidende Rolle als Anker und Wegweiser. Hier sehe ich insbesondere lokale Rundfunkangebote und Bürgermedien als wichtige Akteure. Sie knüpfen unmittelbar an die Lebenswelt der Menschen an und sind glaubwürdig. Lokalredaktionen sind Teil der örtlichen Gemeinschaft, sie schaffen Plattformen und gestalten lokale Räume und Diskussionen mit. Bürgermedien bieten

wertvolle Partizipationsmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger und machen sichtbar, was die Menschen vor Ort bewegt. Sie haben das Potenzial, Themen sichtbar zu machen, einen produktiven Diskurs zu starten und können als Gegengewicht und zumindest stellenweise als Korrektiv zu traditionellen Medien dienen.

Der Bürgerjournalismus kann das Informationsangebot traditioneller Redaktionen ergänzen und wichtiges Sprachrohr für Teile der Gesellschaft sein, die sonst wenig oder kaum gehört werden oder etwa Nischenthemen bespielen. Indem sie ihre Rolle als echte lokale oder regionale Alternative ernst nehmen, können Bürgermedien den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit geben, jenes Handwerkszeug zu erlernen, das für eine ausgewogene, kritische und realitätsnahe Berichterstattung nötig ist. Denn werden Bürgerinnen und Bürger darin geschult, sich vielseitig zu einem Umstand zu informieren und dieses Wissen aktiv weiterzutragen – zivilgesellschaftliches Engagement par excellence. Wahrscheinlich wurde noch nie so stark nach medienorientierten Schlüsselkompetenzen gerufen, wie es aktuell der Fall ist.

Deshalb ermutige ich Sie und uns alle, mit neuen Formen der Ansprache zu experimentieren und verstärkt partizipative, kollaborative Formate in unsere Bildungsarbeit zu integrieren. Der Bürgerjournalismus hat das Potenzial, nicht nur als Informationsquelle zu dienen, sondern auch als Motor für demokratische Teilhabe und Medienkompetenz. Es liegt an uns, ihre Weiterentwicklung und Anpassung an die digitalen Herausforderungen zu unterstützen, um echte Impulse für eine medienkundige, emanzipierte – von mir aus auch redaktionelle – Gesellschaft geben zu können. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die politische Medienbildung zu stärken und Menschen die Werkzeuge an die Hand zu geben, um in der digitalen Welt souverän agieren zu können.

 

Die ganze Rede finden Sie

zum Nachlesen unter https://www.bpb.de/die-bpb/presse/545890/buergermedien-als-plattform-kritischer-politischer-medienbildung/

zum Sehen und Hören unter https://www.mediathek-hessen.de/medienview_32965_OK-Kassel-B%C3%BCrgerjournalismus-belebt-das-Mediensys.html nach knapp 12 Minuten Einleitung.

 

Im 10-Jahres-Rhythmus hat sich Thomas Krüger für die Bürgermedien ausgesprochen:

Im Juni 2004 beim 11. Jahrestreffen Offener Kanäle, das unter dem Motto „20 Jahre Offene Kanäle – Mut zu Demokratie“ im Palais am Festungsgraben in Berlin stattfand.

Und im November 2014, als es in den Berliner Räumen der Bundeszentrale für politische Bildung um die Themen Meinungsvielfalt, Medienbildung und Moderne Kommunikation ging.

Auch diese beiden Reden finden Sie in ungekürzter Schriftfassung im Archiv der Bundeszentrale unter https://www.bpb.de/die-bpb/presse/55537/reden-archiv/ und im Archiv des Bundesverbands Bürgermedien.

Mit dem Projekt „Stärkung der soziokulturellen Arbeit der Bürgermedien durch bundesweite Vernetzung und Weiterbildungsmaßnahmen“ wird unser Verband momentan durch den Fonds Soziokultur aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR gefördert.

Wir bieten am 18.08. und 29.09.2022 kostenlose Hybridworkshops zum Thema "Filmen mit dem Smartphone - leicht gemacht". Außerdem unterstützen wir Produktionen, die die Verzahnung von Bürgermedien und lokaler Soziokultur voranbringen.

Mehr zum Projekt und den Workshops

Einladung zur Abschlussveranstaltung